Sonntag, 6. September 2015

Im Bauch

Mit dem Lift geht es auf Deck 3, ein paar Eisenstiegen hinauf, schwere Türe entriegelt – und der Lärm wird intensiv: Vor uns steht das Herz des Schiffes, die Ursache aller Vibrationen und die Basis für unsere rund 7000 Meilen seit Hamburg: Der Schiffsdiesel.
Der Chef-Ingeneur hat mich am allerletzten Tag an Bord zu einer Spezialführung in die Tiefen des Schiffes eingeladen. Da es jetzt wirklich ruhig ist am Schiff, wage ich mich in die technische Riesenwelt.
Der 7-Zylinder - von der Schweizer Firma Sulzer konstruiert – bringt rund 15.000kw auf die Schiffsschraube und hat schon über 94.000 Betriebsstunden auf dem lindgrünen Buckel.
Im Kontrollraum staune ich über die Fülle der Anzeigen und Messgeräte und kann mir gar nicht merken, wieviele Aggregate hier gesteuert werden. 

Der Motor läuft mit rund 110 Umdrehungen pro Minute, verbraucht 50 Tonnen Schweröl am Tag und wird durch eine gewaltige Zweikreis-Kühlanlage bei rund 80 Grad gehalten (die Auspuffgase haben aber 300 Grad). Der Durchmesser der Zylinder beträgt 62 cm, die Höhe der Kolben? Übermannshoch...


 Das Öl muss vorgeheizt werden, die Viskosität muss „15“ betragen – und jedes mal, wenn das Schiff Europa erreicht, wird alles anders: Um die Emissionen zu reduzieren, ist in der EU seit Jahresbeginn das Öl verboten, es muss ein Diesel verfeuert werden, der nur mehr 0,1% Schwefelanteil hat (anstatt 1% im Öl). Dies bedeutet aber auch weniger Schmierfähigkeit, es müssen Additive hinzugefügt werden, die sind wahrscheinlich auch nicht ganz gesund für die Umwelt.
Apropos gesund: Ein Seemann bringt am Boden des kathedralengroßen Motorraums eine neue Farbe auf, Epoxybeschichtung konstatiert meine Nase, Riesenkrach melden die Ohren, kein Tageslicht erreicht das Auge...
Wir begeben uns eine Etage tiefer, riesige Pumpen und Rohre versorgen das Kühlsystem, zwei meterhohe Kühlrippenblöcke sind für den Wärmetausch zuständig. Über uns ein schneidender Blechkreischton: zwei gigantische Turbolader ergänzen das Triebwerk...

Die Entdeckungstour führt an das Heck des Schiffs: vorbei an vier 8-Zylinder-Diesel-Generatoren geht es zur Antriebswelle. Mindestens 10 Meter Länge, Durchmesser über 60cm, gefertigt aus besonders torsionsfähigem Spezialstahl. Hinter der Stopfbuchse (etwa 5m lang, mit 1500 Liter Ölkapazität) gibt es eine gewaltige, fünf-flügelige, nach Backbord drehende Schraube. Die Steigung der Blätter kann elektrohydraulisch variiert werden – solcherart wird die Schiffsgeschwindigkeit reguliert. Darüber liegt ein Heckstrahlruder – der eiserne Mantel lässt die gewaltige Dimension dieser elektrisch betriebenen „Querschraube“ erahnen (Am Bug gibt es zu Manövrierzwecken natürlich ein gleichartiges Bugstrahlruder...).

Vorbei an zwei weiteren Filipinos, die mit der (permanenten) Instandhaltung beschäftigt sind, geht es wieder 3 Etagen aufwärts, bis wir nach eineinhalb Stunden wieder im Ingenieurskommandoraum eintreffen.
Der bulgarische Chefingenieur meint “dies ist alles wie ein Organismus, ein Teil kann nicht ohne den anderen leben – und für die 15 Jahre Alter funktioniert alles problemlos – weil eben immer gut instand gehalten...“

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