Dienstag, 14. Juni 2016

Adoptiert in den Bergen – Laguna Llanganuco

Ein wohl exzentrischer Engländer hat auf einem Hochplateau wenig außerhalb des Huascaran-Nationalparks eine sündteure Lodge in die Einschicht gebaut. Nicht nur für Sterngucker und Stille-Fetischisten ein Paradies, denn zum Greifen nah erheben sich der vierzackige, knapp 6400m hohe Huandoy sowie die Krone der Cordillera Blanca, der 6768m hohe Huascaran. Da wollen wir hin – wir dürfen mit unserem Schlafwagen etwas abseits, unsichtbar für die japanische Kleingruppe, campieren. Und weil dem britisch-südafrikanischen Betreiberpaar abends eher fad wird, dürfen wir ab 20 Uhr in die wohlig warm geheizte Stube kommen und werden mit heißem Coca-Tee versorgt. 
Die beiden sind eigentlich auch Traveller, die den Besitzer, der gerade in London weilt, seit Monaten zur Seite stehen und ihn derzeit vertreten. Solcherart möchten sie langsam das Geld für die Reisefortsetzung nach Mittel- und Nordamerika zusammenkratzen...
In der Früh bringt Gaby brühheißen Kaffee von der Lodge herauf, wir genießen die tolle Aussicht und wir fühlen uns bestens aufgehoben hier...
   
Chris gibt uns eine Menge Tipps, was wir hier abseits der beiden Haupttouristen-Trekkings unternehmen können. Und so wagen wir am den Anstieg zur Basis der Gletscher des Huandoy-Westgipfels. Vor uns schon sind zwei andere Wanderer losgezogen, mehr Leute gibt es hier nicht...
Oder doch? Ganz unvermittelt, an einem lieblichen Bergbach, der durch das Trogtal rauscht, stehen wir vor einer Hütte. Dahinter ein Zaun – und ein versperrtes Tor. Eingang in den Nationalpark – gut, aber wir haben vergessen, Geld mitzunehmen, 10 Soles p.P., rund 3 Euro.
Gaby beschließt aus Höhengründen hier auf rund 4300m umzukehren, ich überzeuge den Parkwächter, bei meiner Rückkehr mit mir zum Auto mitzukommen – ist eh nur 1 Stunde Gehzeit, pro Richtung. Er willigt ein, 5 Soles Trinkgeld sollen dafür herausschauen.
Nach einer weiteren Stunde Trekking begegnen mir die beiden anderen Wanderer. Meine Bitte, mir 10 Soles zu borgen, sie bekommen sie von Gaby beim Auto zurück, lehnen die beiden Amis ab. Haben wohl schon schlechte Erfahrungen gemacht... 
Jetzt wird es steiler, der Bach springt in Kaskaden talwärts und ich merke schon die Höhe. Als es flach wird, stehe ich beim ersten Schnee, wohl in viereinhalbtausend Metern Höhe. Mein Ziel liegt aber deutlich höher, ich möchte gerne bis zum Gletscher, das sind vielleicht noch 300 Höhenmeter, ziemlich steil und praktisch ohne Weg durchs Gestrüpp. Irgendwie wird das mit dem Gehen immer mühsamer, die Pausen werden länger. Als ich es fast geschafft habe, vielleicht noch 100m rauf, geht mir der Saft etwas aus und die Uhrzeit beginnt, gegen mich zu sprechen. Schweren Herzens drehe ich um, ohne über die Kante gesehen zu haben, ohne den Gletscher erreicht zu haben.
   
Am Weg runter spüre ich wieder mal meine Knie, aber es geht schneller als befürchtet, die letzte Stunde in Begleitung des Parkwächters und zwei seiner kleinen Kinder, die wieselflink zwischen den Felsen herumspringen.
Also, ich bin nach der Sechsstundentour ziemlich geschafft, erfreulicherweise gibt es abends wieder eine Einladung in die Lodge. Die beiden Amis, die da gerade ihr Drei-Gänge-Menu genießen, wollen mir einfach nicht in die Augen schauen...
Chris hat einen weiteren Tipp: Abfahrt um vier Uhr morgens auf den rund 4800m hohen Portachuelo-Pass und den Sonnenaufgang direkt vor den mächtigen, schneebedeckten Gipfeln genießen!
   
Die nächtliche Auffahrt auf serpentinenreicher, einspuriger Piste ist abenteuerlich, dafür ist es oben umso kälter. Aber schon vor dem Sonnenaufgang ist das vergessen – die Morgenröte bringt herrliche Pastellfarben. Als sich die Sonne über den Horizont schiebt, wechseln die schneebedeckten Gipfel in grelle Orangetöne, bis dann das tagesübliche Schneeweiß unter strahlend blauem Himmel gewinnt.
Ich unternehme eine kleine Wanderung auf einem alten Inkapfad, der über diesen Pass geführt hat, dann wagen wir uns die nicht ganz ungefährliche Straße wieder hinunter – um einige Zeit mit dem Frühstück an der wunderbaren Laguna Llanganuco zu verbringen. Frisch gestärkt und einen sonnigen Tag vor uns, beschließen wir, gleich der Cordillera Blanca entlang südwärts zu fahren und die gestrige Einladung unserer „Adoptivgastgeber“ zu einem heißen Morgenabschiedskaffee auszuschlagen...
   


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