Donnerstag, 31. Dezember 2015

Carretera Austral – los geht’s!

Die Suche nach dem Nationalpark Cerro Castillo führt uns durch mehrere Flüsse – aber nicht ans Ziel. Wir wandern daher einfach so in wunderbar fremder Wald- und Bergbachlandschaft umher, freunden uns mit freundlichen Rössern an und genießen mit Blick auf den bizarren „Burgberg“ eine heiße Suppe. Warm ist es auch im chilenischen Patagonien nicht!


Ein paar Regentropfen, pfeifender Wind und eine atemberaubende Bergkulisse. Führt die – meist gut gepflegte – Naturpiste durch ein windgeschützes Tal, so wechselt die Vegetation sofort auf „kalter Regenwald“.

Verständlich, denn wir verbringen in solch einem Tal, an einem lieblich rauschenden Gebirgsbach, eine – jawohl! - verregnete Nacht. Farne, Knorrige Bäume, Pflanzen mit riesigen Blättern, feines Nieseln und feuchtkalt - es erinnert uns an den Regenwald in Tasmanien.

Die größte Überraschung bringt der Morgen: Kaum Autoverkehr – aber ein Doppeldeckerbus hält gerade an unserem Überachtungsplatz – und raus springt eine Horde Teenager und umringt uns für den Pinkelstopp. Etwas feinfühliger hätte der Chauffeur schon agieren können, denn zu übersehen waren wir nicht – und die Carretera Austral ist insgesamt doch fast 1000km lang ...

Carretera Austral – unser Einstieg ins chilenische Patagonien und ein Unglück

Da der im Reise-Know-How-Führer versprochene „ liebliche Ort mit mildem Mikroklima“ ein stürmisches Staubloch ist, verlassen wir Los Antiguos am Lago Buenos Aires rasch und queren nach Chile. 
Das im South America Handbook als „staubiges Nest“ beschriebene Chile Chico am Lago General Carrera entpuppt sich als süßes Städtchen mit guter Infrastruktur, mit viel Grün, natürlich mit Wind, aber ohne viel Staub... Hier fühlen wir uns wohl. In der Bahia Jara finden wir einen netten Campingplatz.


Nicht täuschen lassen: Zwei Namen, ein See. Und zwar der zweitgrößte des Kontinent (nach Titicaca und zugleich der tiefste in Südamerika, etwa 590m).

Über den See gibt’s eine Fähre nordwärts, die möchten wir nehmen, um dann die berühmte Carretera Austral am Westufer entlang südwärts zu gondeln. Per Stand-by erwischen wir den vorletzten Platz der einmal-täglich-Fähre. Abfahrt 9 Uhr. Eine herrliche Bergkulisse im Westen wird von der Morgensonne angestrahlt. (An der argentinischen Küste ist der See in der brettebenen Pampa, man glaubt es kaum!)

Der Wind frischt auf, das Wasser fliegt waagrecht am Schiff entlang, ich schätze rund 7 Windstärken. Und während wir die gut zweistündige Überfahrt genießen, spielt sich vor Puerto Rio Tranquilo an diesem 8. Dezember beim Westufer eine Tragödie ab.

Ein älterer Herr fährt trotz des Sturms mit dem Kajak auf den See hinaus, kentert, kann sich wegen Wind und Welle nicht mehr aufrichten, wird herausgefischt – und stirbt am Weg ins Krankenhaus wegen Unterkühlung. Dieser Mann ist Douglas Tomkins, Gründer der maßstabsetzenden Outdoor-Marke „The North Face“. Steinreich. Und größter privater Landbesitzer in Chile. Diese Ländereien dienen aber nicht dem Privatvergnügen, als Philanthrop möchte möglichst viel Natur retten und als Nationalpark der Öffentlichkeit zugänglich machen. Was wegen der Landanhäufung nicht zuletzt bei der chilenischen Regierung für Verwirrung gesorgt hat. Sein „Park Pumalin“ bei Puerto Montt und Besitzungen nahe Cochrane sind aber bereits anerkannte Schutzgebiete.

Wer mehr darüber wissen möchte: https://de.wikipedia.org/wiki/Pumal%C3%ADn-Park

Und dieser Outdoor-Experte und Naturfreak stirbt nun bei einem Abenteuer-Naturerlebnis... Spannend, wie es mit den Besitzungen - die ja seiner Stiftung gehören - nun weitergehen wird.

Wir kommen etwas durchfroren, aber durchaus munter in Puerto Ibanez , dem wichtigsten Hafen am See, an. Wichtigster Hafen? Städtchen? Kleines Kaff, alles geschlossen... (Saisonbeginn vielleicht zu Weihnachten?)
 

Wir besuchen die mächtigen Kaskaden des Rio Ibanez und fahren die letzten Asphalt-Kilometer für die nächsten Tage zum Cerro Castillo.

der Weg, den Bäume gehen...

...kann sehr unterschiedlich sein.

Denn in der 100.000-Seelen-Stadt Comodoro Rivadavia kann man nicht nur Reifen flicken lassen, sondern auch sehen, wieviel Geld im Erdöl steckt: in der Umgebung werden 30% des argentinischen Ölbedarfs gefördert (hättest du gewusst, dass die hier viel Öl haben?) - und die Konzerne haben einiges in das Erscheinungsbild der Stadt investiert. Wenn es dann in der Steppe grün wird, so hat sicher auch ein Ölmulti die Hand am Wasserhahn, um den Rasen vor dem Office zu gießen...


Wir fahren westwärts, durch die Steppe. Und wir fahren Slalom zwischen den Ölpumpen. Hier werden urzeitliche Wälder aus der Tiefe gefördert. Auf der Straße herrscht so viel Verkehr wie selten in Argentinien. Dafür kostet hier der Kaffee an der Tankstelle mehr als in einem Luxushotel an der Küste.


Ein paar hundert Kilometer westwärts. Die Bäume sind 65 Millionen Jahre alt. Sie stammen aus der Zeit, als es noch keine Anden gab und ein großer Fluss die Stämme ins Delta bei einem Urozean geschwemmt hat. Dort wurden sie von Sedimenten rasch luftdicht abgeschlossen und sind nicht zu Öl geworden – ätsch.
   

 

 Stattdessen bewirkte die Osmose eine Infiltration von Mineralien, was zur Versteinerung führte. Und so bewundern wir hier bei Sarmiento urzeitliche Riesen die aussehen, als könnte man mit den Spänen gleich ein Feuer entzünden - inmitten einer beinahe vegetationslosen Mondlandschaft. Das ist der andere Weg des Baumes.

... und so enden Nandus und Schafe, die den Weidezaun übersehen haben oder eben doch nicht drüber gekommen sind... Gesehen bei unserem herrlichen Nächtigunsgplatz unter einer Brücke an der Ruta 40. Zu dieser lange Straße sind wir nämlich wieder zurückgekehrt!

Patagonien Ost

Ich seh´lefanten, Seeelefanten! Wart mal. Das sind ja mindestens 60 davon! Und weit und breit niemand sonst an diesem weiten Strand. Wenig Action. Die liegen alle fad am Schotter herum in der Nachmittagssonne.

„Bleiben wir trotzdem hier?“ Weit und breit keine Menschenseele hier in der weiten Bucht der patagonischen Atlantikküste. „Klar, schau, da drüben fangen grad zwei an zu kämpfen!“
Und das war der Beginn eines beeindruckenden Nachmittags. Anders als auf Valdes – im Nationalpark ist halt alles reglementiert – spazieren wir zwischen den Tieren umher und es gibt auch Interaktionen. Von neugierigen Beäugen bis zum trötenden „Schleicht´s euch!“ reicht die Palette. Immer wieder kommt es zu Zweikämpfen – zwischen den teilweise beeindruckend großen Bullen, wir halten uns da eher raus.
Sie stellen sich auf, gröhlen wie betrunkene Teenager, prallen mit der vollen Wucht ihrer schweren Körper frontal gegeneinander, beißen sich im Fell des Gegners fest – und fallen nach Minuten der Anstrengung wieder in die bewegungslose Ruhephase. Dann geht’s von vorne los. Vielleicht mit einem neuen Gegner. Nicht selten geht das Ganze blutig ab, wenn sich einer in das Halsfett des Opponenten verbeißt.


Ein sensationeller Tag, wir bleiben gleich noch den nächsten Vormittag fasziniert vor Ort. Es hat schon Vorteile, wenn man nicht am Asphalt der „Ruta 3“ dahinrollt, sondern die einsame, streckenweise rumpelige Küstenpiste RP 1 nimmt (benannt übrigens nach Juan Peron, dem legendären Präsidenten..).

Ein Pflichtbesuch ist Punta Tombo, hier befindet sich die größte Pinguinkolonie Südamerikas. Und die größte Touristenansammlung der Gegend. Erfreulicherweise werden die betagten Kreuzfahrer aber zu Hunderten gerade wieder in die Busse zurück zum Schiff verfrachtet, sodass wir die putzigen Magellan-Pinguine fast für uns und jedenfalls aus nächster Nähe haben. In ihren Bruthöhlen piepst es unüberhörbar: der flaumige, etwa 10 cm große Nachwuchs möchte endlich etwas von der Welt sehen – was des Vaters geschickter Flügelstummel aber zu verhindern weiß. Noch.


  

Über der Pinguinkolonie kreist der Feind: Sturmvögel, Seevögel mit mehr als 2m Flügelspannweite patroullieren, um die ersten mutigen Jungvögel zu entdecken – die wohl ein wunderbares Mahl abgeben...

 Eine Ausweiche. Da hier sowieso niemand fährt, bleiben wir am Straßenrand mit Blick auf die Weite des Ozeans... Damit unser Schlafwagen gerade steht, drehe ich ihn um. Und als ich aussteige, höre ich es schon: Luft pfeift aus dem Reifen. Großes Loch, mitten in der Lauffläche. Offenbar seit 10 Sekunden. Schnell den Wagenheber raus, dann muss ich wenigstens nicht so hoch kurbeln. (Gut, dass ich in Santa Cruz den alten Ersatz-Reservereifen gekauft habe...) Unglaublich: schon der dritte Reifenschaden, zum dritten Mal links hinten. 


Der nächste Ort ist nur 10km entfernt, aber der Mechaniker weißt nichts von seinem Glück: er könnte bei uns zwei Reifen flicken – aber er lässt sich nicht blicken.

Also holpern wir weiter südwärts und wollen nochmals am Meer übernachten: in der Bahia Bustamente gibt es nette Hütten und viel zu sehen, weiß der Reiseführer. Nach 100km Staubstraße sind wir dort und ernüchtert: eine kleine, nette Strandhütte wäre uns vorgeschwebt, so ein wenig Abwechslung vom im-Auto-schlafen. Eine Häuschen mit Vollpension und allerlei Aktivitäten inklusive um dezente 310 US-Dollar pro Person wurde offeriert.
Andererseits: Am Strand durften wir gratis campieren und zu einer Dusche wurden wir auch eingeladen. Herrlich: ein windstiller Tag – und ein windstiller Abend. Ich springe noch schnell in den mäßig warmen Ozean, ein paar Nandus schauen am Strand vorbei und eine schön gezeichnete Möwe verzehrt gerade einen großen orangefarbenen Krebs, noch lebendig. Widerstand vergebens.

   

Wir trinken Rotwein und freuen uns über diesen milden Abschied vom Atlantik.