Samstag, 30. Juli 2016

Ins Pantanal – eine glückliche Herbergssuche

 
Wir lassen es gemütlich angehen. Nach 30 Kilometern der „Transpantaneira“ haben wir schon genug gesehen für den ersten Tag, meinen wir.
Babykaimane liegen in der Sonne und Riesenottern fühlen sich bei der Morgenmahlzeit gar nicht gestört, unzählige Vögel sind am und im Wasser beschäftigt und ein paar Capibaras, Wasserschweine, rennen durch den Sumpf. Ein Auftakt nach Maß also.
Also lassen wir den Rest des Tages auf der Estancia Vitoria, einem deutschsprachigem Refugium hier, ausklingen. Nachmittags geht’s zu Fuss durch die Savanne mit einigen guten Erklärungen des Führers. So erfahren wir, dass Kakteen als Salatgurkenersatz fungieren und wer sich Holztermiten am Körper verreibt, dem bleiben Insektenstiche erspart (das funktioniert wirklich...). Zum Sonnenuntergang zeichnet sich ein Jabiru-Nest gegen den Horizont ab, zwei Jungstörche werden darin umsorgt.
Nach einer moskitofreien Nacht im einstelligen Grad-Bereich versuchen wir uns als Pantanal-Cowboys, die Landschaft wäre wunderbar, aber die Pferde sind zu lahm... Im Sattel nur mäßig durchgeschüttelt, nehmen wir die weiteren 115km Piste bis zu deren Ende in Angriff. Wir sind enttäuscht. Die Strecke ist in sehr gutem Zustand, keinerlei Herausforderung, nicht einmal die zahlreichen Holzbrücken geben Anlass für Nervenkitzel: die ganz maroden kann man durch kleine Furten umfahren... 
Im Übrigen wiederholt sich das Schauspiel des Vortrages leider nicht, außer ein paar Kaimanen sind mangels größerer Wasserflächen kaum Tiere entlang der Straße zu finden.
Am Ende der Straße heißt es dann: Nein!, geht leider nicht... Vor uns liegt das weitläufige Porto Jofre Hotel, der weltweit beste Platz, um eine Jaguarsuche zu starten. Und das Internet versprach gratis Camping hier, gratis Poolnutzung, gratis Internet. Auf diese Info in einem „Overlander-Forum“ im Web sind dann wohl zu viele gekommen...
Aber wir haben einen Trumpf im Ärmel: unser Freund Uwe leitet gerade eine Fotoreise im Pantanal und soll heute Abend mit seinen Kunden ins Hotel kommen. „Aha, wenn das so ist, dann dürft ihr ausnahmsweise doch bleiben!“ Am anderen Ende der weiträumigen Anlage parken wir direkt am Flussufer und richten uns für die nächsten Tage ein. Nur den Pool mögen wir, bitte, nicht benutzen.
Zur großen, teuren Hotelanlage gehört auch ein Teich, gefüllt mit Amazonas-Riesenseerosen. Deren gewaltige Blätter erreichen bis zu drei Meter Durchmesser. Ein phantastischer Platz für abendliche Fotos. Allerdings mit Daunenjacke, denn die Temperatur liegt nicht weit über dem Gefrierpunkt...
Abends organisieren wir eine Bootsfahrt für den nächsten Morgen, schließlich möchten wir ja in der Sumpfwildnis des Pantanal einen Jaguar zu Gesicht bekommen – und das ist per Boot am wahrscheinlichsten. Also greifen wir tief in die Tasche und stellen den Wecker für fünf Uhr...

Staubschicht statt Schlammschlacht!

 
Amazonastieflandpisten haben den legendären Ruf eines endlosen Schlammloches. Auch die bolivianischen. Tagelange Verzögerungen wegen versumpfter Streckenabschnitte, Straßensperrungen wegen hoffnungslos versunkener Fahrzeuge – wir sind gespannt, was uns auf den nächsten 1000km erwarten wird. Der letzte, verregnete Abschnitt von La Paz kommend war ja schon recht interessant – und wo uns ein LKW fast gerammt hat, ist dies einem anderen Overlander tatsächlich passiert: ein LKW ist ihm in den VW Syncro gerutscht, wie wir gerade per Mail erfahren haben.Jetzt steht er wieder in Ernestos Werkstatt in La Paz. Viel Glück!
Wir haben Glück: Die letzten Tage waren absolut regenfrei in der Gegend – und wie wir herausfinden werden, die Trockenheit bleibt uns erhalten (immerhin sind wir ja auch in der Trockenzeit unterwegs...).
Also: einkaufen; wundern, weshalb alle in Rurrenabaque ohne Nummernschild fahren (Theorien: alles in Brasilien geklaute Autos oder einfach steuerschonend unterwegs?) und los geht´s, rund 1000km Richtung Osten.
Was wir rasch herausfinden: die Alternative zum roten Schlammloch ist die ockerfarbene Staubschicht, auf allem und zentimeterdick.
Die Straßenoberfläche verwandelt sich unter den Reifen zu Pulver, jedes Fahrzeug wirbelt eine ganze Nebelschicht auf – was das Autofahren natürlich spannender macht, denn man weiß nie, was einem im Nebel erwartet. LKW? Kuhherde? Schlagloch?
   
Die Strecke ist auch sonst für Überraschungen gut: Direkt neben der Piste gibt es einige Teiche, die soviel Vogelleben aufweisen, wie wir es noch selten gesehen haben. Besonders schön: die rosa Löffler, die geschäftig ihre löffelförmigen Schnäbel durch das Wasser ziehen... 
An einem anderen Wasserloch hat Gaby eine Überraschung parat: Griesschmarren zu Mittag! Die Reise geht langsam zu Ende, die eisernen Reserven werden freigegeben...
  
Und dann gelangen wir nach San Ignacio de Moxos. Nix erwartet hier – aber plötzlich stehen wir in einer sehr netten Ortschaft mit dem historischen Flair der Jesuitenmissionen. Hier bleiben wir über Nacht und duschen uns den Staub weg!
Völlig unerwartet kommt auch der Wetterumschwung. Tagsüber wurden es mehr Wolken, abends pulloverkühl und in der Nacht wird es dann so kalt, dass wir die Daunenschlafsäcke aus der Dachkiste holen!
Wenig überraschend ist das Faktum der endlosen Rinderweiden - Urwald oder andere Wildnis sind falsche Hoffnungen entlang dieser Piste.
   
Überraschenderweise ist die folgende Strecke teilweise schon asphaltiert (an weiteren Bereichen wird gearbeitet), interessant ist nur noch die Querung des mächtigen Rio Mamoré per Floß. Besonders die Ufer-Auffahrt ist für manche eine Herausforderung und nach heftigem Regen sicher ein besonderes Schmankerl... Wir genießen hier eine rundherum betriebsame Mittagspause und erfreuen uns an der wärmenden Sonne. Es hat gerade mal 20 Grad...
So erreichen wir ohne Probleme die unspektakuläre, aber nette Stadt Trinidad. Die normalerweise drückend heiße Provinzmetropole ist für uns Ausgangspunkt einer Flussfahrt.
Wir sehen, wie die Menschen den Uferdschungel urbar machen, Baumriesen werden gefällt und durch Zuckerrohr oder anderen cash crops ersetzt. Die einfachen, harten Lebensbedingungen hier - zwei, drei Bootsstunden von der Stadt entfernt - sind aber wenig einladend für uns... Zwei Französinnen wollen es genauer wissen und schlagen in dieser Abgeschiedenheit für ein paar Tage ihr Zelt auf.
Für uns ist der Hauptgrund zu dieser Tour ein anderer: Im Rio Mamoré und seinen Nebenflüssen gibt es ausgezeichnete Chancen „Bufeos“, rosa Flussdelphine, zu sehen! Und tatsächlich ziehen an einer Flussbiegung einige der Wassersäugetiere neugierig ihre Kreise um unser Boot, offensichtlich auch eine Mutter mit Jungtier. Leider springen Flussdelphine überhaupt nicht und tauchen grundsätzlich dort auf, wo gerade kein Objektiv hin zielt...
Auf einem schmalen aber guten Asphaltband kommen wir dann rasch vorwärts und klappern einige weitere Stationen auf dem „Weg der Jesuitenmissionen“ ab. Im 18. Jh. fanden die Guarani, bedrängt von europäischen Sklavenjägern, bei den durchaus wehrhaften Jesuiten Unterstützung. Sie ließen sich bekehren und belehren – die Handwerkskunst bis hin zum Musikinstrumentenbau hält sich bis zum heutigen Tag hier!
 
Die Jesuiten, die ihre weit verstreuten Missionen gut vernetzten, schufen ein sozialistisches Utopia im Herzen Südamerikas – das war natürlich eine Kampfansage an alle konservativen Kräfte in Europa. So fielen die Jesuiten in Ungnade, ihre Missionen wurden aufgehoben, das Projekt geriet in Vergessenheit – der Glaube blieb aber erhalten und so auch die Kirchen. Diese wurden vor einigen Jahren renoviert und stellen heute wahre Kleinode der euro-indianischen Kultur dar (schon mal das Jesuskind in der Hängematte gesehen?). Seit 1990 sind sechs dieser Missionsorte sogar Weltkulturerbe!
Wir besuchen San Javier, Conception und abschließend die regionale Hauptstadt San Ignacio. Wir stehen vor der beeindruckenden Kirchenfassade, als wir auf wienerisch angesprochen werden. „Das ist doch euer Auto?!“ Eine Musiklehrerin im Sabbatical wird hier für die nächsten Monate den Ton angeben. Als Präsent hat sie ein E-Piano mitgebracht. Mit ihr ist eine freundliche ältere Dame, die hier das Sagen hat. Die Vorarlbergerin ist seit über 20 Jahren die Verwalterin einer Schule (und Mädcheninternats) für indigene Kinder aus weiterer Entfernung. Es ist gerade das letzte Schulferienwochenende und wir dürfen im Schulhof übernachten. 
Abends gibt es in der Kirche noch einige Taufen und danach ausgelassenen Elterntratsch, sodass wir uns den Altar und die Schnitzkunst an den Holzsäulen genau ansehen können. Quasi zum Drüberstreuen finden wir uns dann in der Konditorei einer Steirerin ein, die hier seit Jahren die besten Mehlspeisen fabriziert. Das Wetter ist kühl, die Moskitos sitzen wohl frierend auf ihren Büschen - wir fühlen uns fast wie zu Hause, hier im bolivianischen Tiefland.
Zur brasilianischen Grenze sind es noch 300km durch Weideland (von „Dschungel und Wildnis" war schon die ganze Fahrt lang kaum eine Spur!), eine Tagesetappe Staubschlucken ohne nennenswerte Ereignisse, aber mit Vorfreude: Brasilien, das Pantanal mit seiner reichen Tierwelt rückt näher...