Amazonastieflandpisten haben den
legendären Ruf eines endlosen Schlammloches. Auch die
bolivianischen. Tagelange Verzögerungen wegen versumpfter
Streckenabschnitte, Straßensperrungen wegen hoffnungslos versunkener
Fahrzeuge – wir sind gespannt, was uns auf den nächsten 1000km
erwarten wird. Der letzte, verregnete Abschnitt von La Paz kommend
war ja schon recht interessant – und wo uns ein LKW fast gerammt
hat, ist dies einem anderen Overlander tatsächlich passiert: ein LKW
ist ihm in den VW Syncro gerutscht, wie wir gerade per Mail erfahren
haben.Jetzt steht er wieder in Ernestos Werkstatt in La Paz. Viel Glück!
Wir haben Glück: Die letzten Tage waren absolut
regenfrei in der Gegend – und wie wir herausfinden werden, die
Trockenheit bleibt uns erhalten (immerhin sind wir ja auch in der
Trockenzeit unterwegs...).
Also: einkaufen; wundern, weshalb alle in Rurrenabaque ohne Nummernschild fahren (Theorien: alles in Brasilien geklaute Autos oder einfach steuerschonend unterwegs?) und los geht´s, rund 1000km Richtung Osten.
Was wir rasch herausfinden: die
Alternative zum roten Schlammloch ist die ockerfarbene Staubschicht,
auf allem und zentimeterdick.
Die Straßenoberfläche verwandelt sich
unter den Reifen zu Pulver, jedes Fahrzeug wirbelt eine ganze
Nebelschicht auf – was das Autofahren natürlich spannender macht,
denn man weiß nie, was einem im Nebel erwartet. LKW? Kuhherde?
Schlagloch?
Die Strecke ist auch sonst für
Überraschungen gut: Direkt neben der Piste gibt es einige Teiche,
die soviel Vogelleben aufweisen, wie wir es noch selten gesehen
haben. Besonders schön: die rosa Löffler, die geschäftig ihre
löffelförmigen Schnäbel durch das Wasser ziehen...
An einem anderen Wasserloch hat Gaby
eine Überraschung parat: Griesschmarren zu Mittag! Die Reise geht
langsam zu Ende, die eisernen Reserven werden freigegeben...
Und dann gelangen wir nach San Ignacio
de Moxos. Nix erwartet hier – aber plötzlich stehen wir in einer
sehr netten Ortschaft mit dem historischen Flair der
Jesuitenmissionen. Hier bleiben wir über Nacht und duschen uns den
Staub weg!
Völlig unerwartet kommt auch der
Wetterumschwung. Tagsüber wurden es mehr Wolken, abends pulloverkühl
und in der Nacht wird es dann so kalt, dass wir die
Daunenschlafsäcke aus der Dachkiste holen!
Wenig überraschend ist das Faktum der
endlosen Rinderweiden - Urwald oder andere Wildnis sind falsche
Hoffnungen entlang dieser Piste.
Überraschenderweise ist die
folgende Strecke teilweise schon asphaltiert (an weiteren Bereichen
wird gearbeitet), interessant ist nur noch die Querung des mächtigen
Rio Mamoré per Floß. Besonders die Ufer-Auffahrt ist für manche eine Herausforderung und nach heftigem Regen sicher ein besonderes Schmankerl... Wir genießen hier eine rundherum betriebsame Mittagspause und erfreuen uns an der wärmenden Sonne. Es hat gerade mal 20 Grad...
So erreichen wir ohne Probleme die
unspektakuläre, aber nette Stadt Trinidad. Die normalerweise drückend heiße
Provinzmetropole ist für uns Ausgangspunkt einer Flussfahrt.
Wir sehen, wie die Menschen den
Uferdschungel urbar machen, Baumriesen werden gefällt und durch
Zuckerrohr oder anderen cash crops ersetzt. Die einfachen, harten
Lebensbedingungen hier - zwei, drei Bootsstunden von der Stadt
entfernt - sind aber wenig einladend für uns... Zwei Französinnen
wollen es genauer wissen und schlagen in dieser Abgeschiedenheit für ein paar
Tage ihr Zelt auf.
Für uns ist der Hauptgrund zu dieser
Tour ein anderer: Im Rio Mamoré und seinen Nebenflüssen gibt es
ausgezeichnete Chancen „Bufeos“, rosa Flussdelphine, zu sehen!
Und tatsächlich ziehen an einer Flussbiegung einige der
Wassersäugetiere neugierig ihre Kreise um unser Boot, offensichtlich
auch eine Mutter mit Jungtier. Leider springen Flussdelphine
überhaupt nicht und tauchen grundsätzlich dort auf, wo gerade kein
Objektiv hin zielt...
Auf einem schmalen aber guten
Asphaltband kommen wir dann rasch vorwärts und klappern einige
weitere Stationen auf dem „Weg der Jesuitenmissionen“ ab. Im 18.
Jh. fanden die Guarani, bedrängt von europäischen Sklavenjägern,
bei den durchaus wehrhaften Jesuiten Unterstützung. Sie ließen sich
bekehren und belehren – die Handwerkskunst bis hin zum
Musikinstrumentenbau hält sich bis zum heutigen Tag hier!
Die Jesuiten, die ihre weit verstreuten
Missionen gut vernetzten, schufen ein sozialistisches Utopia im
Herzen Südamerikas – das war natürlich eine Kampfansage an alle
konservativen Kräfte in Europa. So fielen die Jesuiten in Ungnade,
ihre Missionen wurden aufgehoben, das Projekt geriet in Vergessenheit
– der Glaube blieb aber erhalten und so auch die Kirchen. Diese
wurden vor einigen Jahren renoviert und stellen heute wahre Kleinode
der euro-indianischen Kultur dar (schon mal das Jesuskind in der Hängematte
gesehen?). Seit 1990 sind sechs dieser Missionsorte sogar Weltkulturerbe!
Wir besuchen San Javier, Conception und abschließend die regionale
Hauptstadt San Ignacio. Wir stehen vor der beeindruckenden
Kirchenfassade, als wir auf wienerisch angesprochen werden. „Das
ist doch euer Auto?!“ Eine Musiklehrerin im Sabbatical wird hier
für die nächsten Monate den Ton angeben. Als Präsent hat sie ein
E-Piano mitgebracht. Mit ihr ist eine freundliche ältere Dame, die
hier das Sagen hat. Die Vorarlbergerin ist seit über 20 Jahren die
Verwalterin einer Schule (und Mädcheninternats) für indigene Kinder
aus weiterer Entfernung. Es ist gerade das letzte
Schulferienwochenende und wir dürfen im Schulhof übernachten.
Abends gibt es in der Kirche noch
einige Taufen und danach ausgelassenen Elterntratsch, sodass wir uns
den Altar und die Schnitzkunst an den Holzsäulen genau ansehen
können. Quasi zum Drüberstreuen finden wir uns dann in der
Konditorei einer Steirerin ein, die hier seit Jahren die besten
Mehlspeisen fabriziert. Das Wetter ist kühl, die Moskitos sitzen wohl frierend auf ihren Büschen - wir fühlen uns fast wie zu Hause, hier im
bolivianischen Tiefland.
Zur brasilianischen Grenze sind es noch 300km durch Weideland (von „Dschungel und Wildnis" war schon
die ganze Fahrt lang kaum eine Spur!), eine Tagesetappe Staubschlucken
ohne nennenswerte Ereignisse, aber mit Vorfreude: Brasilien, das
Pantanal mit seiner reichen Tierwelt rückt näher...
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