Die 150 km von Arequipa in den
Colca-Canyon kann jeder bewältigen. Auf der Hauptstraße muss man
sich aber eine lange Strecke bergauf mit zahllosen überladenene,
untermotorisierten Lastwagen quälen. Überholmanöver sind nicht
ungefährlich, die aller anderen noch viel mehr als die eigenen.
Die Alternative ist die Abkürzung: die
alte aufgegebene Straße 28 nimmt keine Umwege oder geringere
Steigungen in Betracht, sondern führt zwischen dem majestätischen
Vulkan Misti – mit seinem 5800m im Spätsommer praktisch schneefrei, ein Opfer des Klimawandels
- und dem breitschultrigen, gut 6000m hohen, schneebedeckten Cachani
direkt nordwärts. Und steil bergan. Und auf ausgewaschener,
steiniger Piste. Mit interessanten Weggabelungen – Entscheidungen
können wir trotz guter Instinkte teilweise nur durch Versuch und
Irrtum (also hinfahren und am Pistenende umdrehen...) herbeiführen.
Die „Abkürzung“ dauert gut zwei
Stunden länger (bei halber Streckenlänge) – bietet aber herrliche
Blicke. Zunächst auf Arequipa – das man im Smog zumindest
verschwommen erkennen kann. Dann auf die mächtigen Hänge des Misti
– das Wetter meint es gut mit uns. Und schließlich vergnügt sich
im steppenartigen Nationalreservat Salinas-Aguada eine Herde Vicunas
in einer kleinen Lagune.
Langen schauen wir diesen eleganten
Kameliden zu...
Ein Pass mit über 4900m liegt noch vor
uns, Abwechslung bringen die Alpaca-Herden, die auf den Hochalmen
über der 4000m-Marke gehalten werden. Putzige Tiere – deren Kopf
hat in jedem Alter das klassische Kindchenschema!
Michl hat den Liegesitz im
Wagenhinteren lange in Beschlag, erfreulicherweise ist sein Magen
kurvenbeständig. Es geht nämlich fast 2000 Meter hinunter ins
Colcatal. Der Tag geht bald zu Ende – aber die Berge sind heute
nicht in Wolken gehüllt. Wir erleben eine wunderbare Abendstimmung,
der Regenguss verleiht dem intensiven Grün eine unwirkliche Note.
Apropos grün: Weil soviel davon gesprochen und verglichen wurde, um
wie viel tiefer der Colca-Canyon als der Grand Canyon sei, war unsere
Vorstellung in wüstenhaften, weit gegliederten Felsabbrüchen
gefangen. De facto ist das Tal intensiv landwirtschaftlich genutzt,
wunderbare Terrassenfelder wechseln sich mit saftigen Weiden ab. Und
der Colcafluss wirkt neben dem Colorado wie ein Bach...
Finster wird’s, der Regen fällt
stark – also suchen und finden wir ein angenehmes Nachtquartier.
Das lässt uns für den Morgen noch rund eine Fahrstunde bis zum
berühmten Cruz del Condor-Aussichtspunkt übrig. Schon in der
Morgendämmerung sitzen wir wieder im Auto (einer darf hinten
weiterschlafen :-) ) und sehen die hohe, schneebedeckten Gipfel in
der Ferne rot aufglühen. Noch ist nichts los auf der Straße.
Als wir knapp nach sieben bei ziemlicher Kälte beim Mirador
ankommen, sind wir fast die einzigen Menschen dort. In der Ferne
kreisen ein paar der gigantischen Vögel. Immerhin, denken wir...
Das Naturwunder Colca-Canyon ist
wesentlich weniger beeindruckend als erwartet. Da gibt es ganz andere
Schluchten auf diesem Planeten! Aber da gibt es ja ein
grundsätzliches Schummelproblem: Wir die Tiefe des Canyons korrekt,
vom Schluchtrand angegeben, so misst er keine 1200m Tiefe - in den
Grand Canyon mußte ich 1800m runtersteigen. Um den „tiefsten
Canyon der Welt“ zu bekommen, wurde einfach die Tiefe vom
nächstgelegenen Berggipfel gemessen, plötzlich waren es 3270m
Tiefe. (Dazu fällt mir das Trekking in Nepal ein – wer zwischen
Annapurna und Dhaulagiri durchwandert, befindet sich in einem Tal mit
rund 6000m Tiefe...)
Also blicken wir durchaus interessiert,
aber auch etwas desillusioniert hinunter, wo sich der Colca seinen
Weg zwischen den steilen Felswänden bahnt. Die Landschaft ist
inzwischen wesentlich trockener, Felder gibt res ringsum kaum mehr
und in den steilen Felswänden geht für die Bevölkerung natürlich
gar nichts mehr...
Aber für die Kondore geht’s! Gaby
entdeckt gleich drei Stück unter uns an einem Felsvorsprung sitzend.
Wenig später gleitet einer herbei – und läßt sich auf dem Stein
in etwa fünf Meter Entfernung nieder. Ein weiterer kommt dazu, ein
dritter verdrängt den zweiten. Das Jungtier darf einem Senior das
Gefieder putzen. Offenbar sind wir in eine Kondorflugschule geraten –
ein Jungvogel schaut mit sehr fragendem Blick von seinem Stein in die
Tiefe... und breitet dann doch die Schwingen aus. Insgesamt geben
sich zumindest 14 Kondore heute früh hier die Ehre.
Bei all dem
tierischen Treiben bemerken wir kaum, wie sich die Ränge hinter uns
füllen. Ab 8 Uhr treffen die Touristenbusse im Minutentakt ein. Die
Souvenirhändler haben sich inzwischen auch in Position gebraucht –
der Tag kann anbrechen.
Die Kondore verschwinden allerdings
recht bald, nutzen den Aufwind an den Felshängen für ausgiebige
Gleitflüge und sind nur mehr als kleine Punkte am blauen Andenhimmel
zu erkennen.
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