Mittwoch, 30. März 2016

Zu Besuch bei Kondoren – Colca Canyon

Die 150 km von Arequipa in den Colca-Canyon kann jeder bewältigen. Auf der Hauptstraße muss man sich aber eine lange Strecke bergauf mit zahllosen überladenene, untermotorisierten Lastwagen quälen. Überholmanöver sind nicht ungefährlich, die aller anderen noch viel mehr als die eigenen.
Die Alternative ist die Abkürzung: die alte aufgegebene Straße 28 nimmt keine Umwege oder geringere Steigungen in Betracht, sondern führt zwischen dem majestätischen Vulkan Misti – mit seinem 5800m im Spätsommer praktisch schneefrei, ein Opfer des Klimawandels - und dem breitschultrigen, gut 6000m hohen, schneebedeckten Cachani direkt nordwärts. Und steil bergan. Und auf ausgewaschener, steiniger Piste. Mit interessanten Weggabelungen – Entscheidungen können wir trotz guter Instinkte teilweise nur durch Versuch und Irrtum (also hinfahren und am Pistenende umdrehen...) herbeiführen.
   
Die „Abkürzung“ dauert gut zwei Stunden länger (bei halber Streckenlänge) – bietet aber herrliche Blicke. Zunächst auf Arequipa – das man im Smog zumindest verschwommen erkennen kann. Dann auf die mächtigen Hänge des Misti – das Wetter meint es gut mit uns. Und schließlich vergnügt sich im steppenartigen Nationalreservat Salinas-Aguada eine Herde Vicunas in einer kleinen Lagune.
Langen schauen wir diesen eleganten Kameliden zu...
Ein Pass mit über 4900m liegt noch vor uns, Abwechslung bringen die Alpaca-Herden, die auf den Hochalmen über der 4000m-Marke gehalten werden. Putzige Tiere – deren Kopf hat in jedem Alter das klassische Kindchenschema!
 
Michl hat den Liegesitz im Wagenhinteren lange in Beschlag, erfreulicherweise ist sein Magen kurvenbeständig. Es geht nämlich fast 2000 Meter hinunter ins Colcatal. Der Tag geht bald zu Ende – aber die Berge sind heute nicht in Wolken gehüllt. Wir erleben eine wunderbare Abendstimmung, der Regenguss verleiht dem intensiven Grün eine unwirkliche Note. 
   
Apropos grün: Weil soviel davon gesprochen und verglichen wurde, um wie viel tiefer der Colca-Canyon als der Grand Canyon sei, war unsere Vorstellung in wüstenhaften, weit gegliederten Felsabbrüchen gefangen. De facto ist das Tal intensiv landwirtschaftlich genutzt, wunderbare Terrassenfelder wechseln sich mit saftigen Weiden ab. Und der Colcafluss wirkt neben dem Colorado wie ein Bach...
Finster wird’s, der Regen fällt stark – also suchen und finden wir ein angenehmes Nachtquartier. Das lässt uns für den Morgen noch rund eine Fahrstunde bis zum berühmten Cruz del Condor-Aussichtspunkt übrig. Schon in der Morgendämmerung sitzen wir wieder im Auto (einer darf hinten weiterschlafen :-) ) und sehen die hohe, schneebedeckten Gipfel in der Ferne rot aufglühen. Noch ist nichts los auf der Straße.

Als wir knapp nach sieben bei ziemlicher Kälte beim Mirador ankommen, sind wir fast die einzigen Menschen dort. In der Ferne kreisen ein paar der gigantischen Vögel. Immerhin, denken wir... 
Das Naturwunder Colca-Canyon ist wesentlich weniger beeindruckend als erwartet. Da gibt es ganz andere Schluchten auf diesem Planeten! Aber da gibt es ja ein grundsätzliches Schummelproblem: Wir die Tiefe des Canyons korrekt, vom Schluchtrand angegeben, so misst er keine 1200m Tiefe - in den Grand Canyon mußte ich 1800m runtersteigen. Um den „tiefsten Canyon der Welt“ zu bekommen, wurde einfach die Tiefe vom nächstgelegenen Berggipfel gemessen, plötzlich waren es 3270m Tiefe. (Dazu fällt mir das Trekking in Nepal ein – wer zwischen Annapurna und Dhaulagiri durchwandert, befindet sich in einem Tal mit rund 6000m Tiefe...)
Also blicken wir durchaus interessiert, aber auch etwas desillusioniert hinunter, wo sich der Colca seinen Weg zwischen den steilen Felswänden bahnt. Die Landschaft ist inzwischen wesentlich trockener, Felder gibt res ringsum kaum mehr und in den steilen Felswänden geht für die Bevölkerung natürlich gar nichts mehr...
Aber für die Kondore geht’s! Gaby entdeckt gleich drei Stück unter uns an einem Felsvorsprung sitzend. Wenig später gleitet einer herbei – und läßt sich auf dem Stein in etwa fünf Meter Entfernung nieder. Ein weiterer kommt dazu, ein dritter verdrängt den zweiten. Das Jungtier darf einem Senior das Gefieder putzen. Offenbar sind wir in eine Kondorflugschule geraten – ein Jungvogel schaut mit sehr fragendem Blick von seinem Stein in die Tiefe... und breitet dann doch die Schwingen aus. Insgesamt geben sich zumindest 14 Kondore heute früh hier die Ehre.
   
   
Bei all dem tierischen Treiben bemerken wir kaum, wie sich die Ränge hinter uns füllen. Ab 8 Uhr treffen die Touristenbusse im Minutentakt ein. Die Souvenirhändler haben sich inzwischen auch in Position gebraucht – der Tag kann anbrechen.
Die Kondore verschwinden allerdings recht bald, nutzen den Aufwind an den Felshängen für ausgiebige Gleitflüge und sind nur mehr als kleine Punkte am blauen Andenhimmel zu erkennen.

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