Dienstag, 5. April 2016

Lima, eine Stadt mit Überraschungen ...

Dort möchtest du Auto fahren? Michl, unser Besuch in Arequipa zeigt sich skeptisch, er hatte ja gerade eine Woche Lima hinter sich. Er erzählt von Verkehrsinfarkt, allgemeinem Chaos in der Zehn-Millionen-Stadt, undurchschaubaren Busverbindungen und ein paar netten Stadtvierteln.
Wir sind also gespannt, was uns erwartet. Die erste Überraschung ist ein klassisch falsches Timing.
Nach heimischen Gesichtspunkten ist der Ostersonntag ein idealer Reisetag, weil ja der Montag auch Feiertag. In Peru ist das nicht so – wir stehen Sonntag spätnachmittags in der Urlauberrückreiselawine. Diese entspannt sich kurz vor der Hauptstadt aber – ein einfaches Mittel hilft: Die Einfallstraße, eine dreispurige Autobahn, wird kurzerhand stadtauswärts gesperrt – es stehen also 6 Fahrspuren nach Lima zur Verfügung.
Düdel-dü - Ö 3 - Verkehrsfunk: Die Südautobahn ist ab Baden nur Richtung Wien befahrbar. Wollen Sie dummerweise nach Graz, so benutzen Sie bitte die Bundesstraße! Düdel-dü“ … eigentlich gar keine schlechte Idee!
Wir erreichen unser angepeiltes Ziel im sehr gepflegten Stadtteil Miraflores im Dämmerlicht. Juhu! Genau ein Platz für unser Auto (weil es so klein und handlich ist...) ist noch frei, drei andere Camper stehen schon da. Wir quartieren uns in einem kleinen Zimmer ein, es ist sehr schwül – nicht ideal, um im Auto zu schlafen.
Wir sind überrascht, denn der erste Eindruck von der Stadt entspricht nicht unseren negativen Erwartungen. Selbst die ärmlichen Stadtrandviertel an der Stadtautobahn wirken nicht wie katastrophale Slums, sondern – wie Gaby es formuliert – hier werden offenbar die Grundbedürfnisse abgedeckt, man kann ein einfaches Leben führen (keine Illusion: die ganz schlimmen Ecken wird es in dieser Megacity wohl auch geben...).
Wir kommen in eine Stadt, die aufgeräumter und sauberer wirkt als so manche in vorher besuchten Ländern. 
Und als wir am nächsten Morgen in den Stadtkern fahren, erleben wir das nächste Wunder: nicht nur, dass die Busse bestens ausgeschildert sind, die Menschen stellen sich überall (Banken, Bus etc.) in einer Reihe an und warten geduldig bis alle davor bedient/eingestiegen sind (okay, vorher hätte man die Leute aussteigen lassen sollen ...). Man könnte meinen, die Briten hätten hier die Ordnung vorgegeben.
   
Keine Überraschung: Lima kommt mit Arequipa nicht mit... Der Stadtkern ist ein wildes Durcheinander von hübschen Kolonialhäusern und Betonklötzen. Manche Straßenzüge sind lebendig und gut erhalten, andere am Verfallen und wenig einladend. Der Hauptplatz und der nahe Plaza de San Martin sind viel weniger attraktiv als Arequipas Stadtmittelpunkt.
   
Bei den gleichnamigen Klöstern „San Francisco“ liegt unser Favorit in Lima. Vielleicht liegt´s an dem regen Treiben in der Kirche, wo dem Heiligen Judas Taddäus gehuldigt wird (eine verworrene, wohl konstruierte Gestalt, die immer dann hilft, wenn es aussichtslos scheint - vielleicht ist er deshalb auch der Schutzheilige der Journalisten...). Spannend ist die Führung durch das alte Gemäuer, durch die Bibliothek und dann unter die Kirche – wo in den vergangenen Jahrhunderten viele Menschen zur letzten Ruhe gelegt worden sind. Das sichtbare Ergebnis sind wohlgeordnete Stapel menschlicher Knochen. Und es herrscht Fotografierverbot im gesamten Komplex
   
In den Präsidentenpalast dürfen wir nicht, in die Kathedrale nur gegen einen Obolus von 8 Euro – da reicht uns ein kurzer Blick ins Innere.
   
Mit dem gesparten Geld können wir den Sightseeingbus auf den Hausberg San Cristobal bezahlen, das erscheint uns interessanter. Tatsächlich führt die Fahrt durch einige unterschiedliche Viertel. Markant, nicht nur hier, sondern in vielen Städten Perus: Häuser werden nicht verputzt (ob das, wie in einigen anderen Ländern, damit zu tun hat, dass erst „fertige“ Häuser besteuert werden, müssen wir noch herausfinden...). Ebenso markant: es liegt zwar ausreichend Müll in der Gegend herum – aber wenn ein Territorium klar „privat“ ist, so ist es aufgeräumt. Und so wirken auch die einfacheren Stadtviertel eigentlich sauberer und geordneter als in vergleichbaren Städten in anderen Staaten Südamerikas.
Den Ausblick vom Cerro San Cristobal sollte man sich nicht entgehen lassen, der Urinduft hinter jedem Mäuerchen hingegen wäre entbehrlich. Lima, soweit das Auge reicht. Im Westen begrenzt vom Pazifik, in die anderen Richtungen – Wohnsiedlungen und Hütten auf Wüstenboden soweit bis der Dunst die Sicht nimmt. Einige kahle Berge ragen wie Inseln aus dem Häusermeer. So eindrücklich wurde mir die Größe einer Stadt noch nie vor Augen geführt. 
   
Lima ist - angeblich – die fünftgrößte Stadt bzw. Metropolregion Amerikas (Mexico City, Sao Paulo, New York City, Los Angeles, Gran Buenos Aires und Rio de Janeiro würden mir aber allesamt als Kandidaten für eine „bessere“ Platzierung einfallen... genau weiß das aber wohl niemand.)
  
Nächste „Überraschung“ – oder Dummheit unsererseits: wer in der Rush hour um 19 Uhr mit dem Bus heim fährt, braucht dreimal so lange wie bei der Hinfahrt vormittags... Dafür hat Gaby ein „Erfolgserlebnis“: zunächst bietet ihr ein Caballero den Sitzplatz an – wenig später ist sie ihn schon wieder los: „I am of higher age than you!“, so der unmissverständliche Hinweis der gutgekleideten Grauhaarigen (der Twen am Nebensitz hatte offenbar den Hörapparat vergessen). 

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