Dort möchtest du Auto fahren? Michl,
unser Besuch in Arequipa zeigt sich skeptisch, er hatte ja gerade
eine Woche Lima hinter sich. Er erzählt von Verkehrsinfarkt,
allgemeinem Chaos in der Zehn-Millionen-Stadt, undurchschaubaren
Busverbindungen und ein paar netten Stadtvierteln.
Wir sind also gespannt, was uns
erwartet. Die erste Überraschung ist ein klassisch falsches Timing.
Nach heimischen Gesichtspunkten ist der
Ostersonntag ein idealer Reisetag, weil ja der Montag auch Feiertag.
In Peru ist das nicht so – wir stehen Sonntag spätnachmittags in
der Urlauberrückreiselawine. Diese entspannt sich kurz vor der
Hauptstadt aber – ein einfaches Mittel hilft: Die Einfallstraße,
eine dreispurige Autobahn, wird kurzerhand stadtauswärts gesperrt –
es stehen also 6 Fahrspuren nach Lima zur Verfügung.
„ Düdel-dü - Ö 3 -
Verkehrsfunk: Die Südautobahn ist ab Baden nur Richtung Wien
befahrbar. Wollen Sie dummerweise nach Graz, so benutzen Sie bitte
die Bundesstraße! Düdel-dü“ … eigentlich gar keine schlechte
Idee!
Wir erreichen unser angepeiltes Ziel im sehr gepflegten Stadtteil
Miraflores im Dämmerlicht. Juhu! Genau ein Platz für unser Auto
(weil es so klein und handlich ist...) ist noch frei, drei andere
Camper stehen schon da. Wir quartieren uns in einem kleinen Zimmer
ein, es ist sehr schwül – nicht ideal, um im Auto zu schlafen.
Wir sind überrascht, denn der erste Eindruck von der Stadt
entspricht nicht unseren negativen Erwartungen. Selbst die ärmlichen
Stadtrandviertel an der Stadtautobahn wirken nicht wie katastrophale
Slums, sondern – wie Gaby es formuliert – hier werden offenbar
die Grundbedürfnisse abgedeckt, man kann ein einfaches Leben führen
(keine Illusion: die ganz schlimmen Ecken wird es in dieser Megacity
wohl auch geben...).
Wir kommen in eine Stadt, die aufgeräumter und sauberer wirkt als so
manche in vorher besuchten Ländern.
Und als wir am nächsten Morgen in den Stadtkern fahren, erleben wir
das nächste Wunder: nicht nur, dass die Busse bestens ausgeschildert
sind, die Menschen stellen sich überall (Banken, Bus etc.) in einer Reihe an und warten geduldig
bis alle davor bedient/eingestiegen sind (okay, vorher hätte man die Leute
aussteigen lassen sollen ...). Man könnte meinen, die Briten hätten
hier die Ordnung vorgegeben.
Keine Überraschung: Lima kommt mit Arequipa nicht mit... Der
Stadtkern ist ein wildes Durcheinander von hübschen Kolonialhäusern
und Betonklötzen. Manche Straßenzüge sind lebendig und gut
erhalten, andere am Verfallen und wenig einladend. Der Hauptplatz und
der nahe Plaza de San Martin sind viel weniger attraktiv als
Arequipas Stadtmittelpunkt.
Bei den gleichnamigen Klöstern „San Francisco“ liegt unser
Favorit in Lima. Vielleicht liegt´s an dem regen Treiben in der
Kirche, wo dem Heiligen Judas Taddäus gehuldigt wird (eine
verworrene, wohl konstruierte Gestalt, die immer dann hilft, wenn es
aussichtslos scheint - vielleicht ist er deshalb auch der
Schutzheilige der Journalisten...). Spannend ist die Führung durch
das alte Gemäuer, durch die Bibliothek und dann unter die Kirche –
wo in den vergangenen Jahrhunderten viele Menschen zur letzten Ruhe
gelegt worden sind. Das sichtbare Ergebnis sind wohlgeordnete Stapel
menschlicher Knochen. Und es herrscht Fotografierverbot im gesamten Komplex
In den Präsidentenpalast dürfen wir nicht, in die Kathedrale nur
gegen einen Obolus von 8 Euro – da reicht uns ein kurzer Blick ins
Innere.
Mit dem gesparten Geld können wir den Sightseeingbus auf den
Hausberg San Cristobal bezahlen, das erscheint uns interessanter.
Tatsächlich führt die Fahrt durch einige unterschiedliche Viertel.
Markant, nicht nur hier, sondern in vielen Städten Perus: Häuser
werden nicht verputzt (ob das, wie in einigen anderen Ländern, damit
zu tun hat, dass erst „fertige“ Häuser besteuert werden, müssen
wir noch herausfinden...). Ebenso markant: es liegt zwar ausreichend
Müll in der Gegend herum – aber wenn ein Territorium klar „privat“
ist, so ist es aufgeräumt. Und so wirken auch die einfacheren
Stadtviertel eigentlich sauberer und geordneter als in vergleichbaren
Städten in anderen Staaten Südamerikas.
Den Ausblick vom Cerro San Cristobal sollte man sich nicht entgehen
lassen, der Urinduft hinter jedem Mäuerchen hingegen wäre
entbehrlich. Lima, soweit das Auge reicht. Im Westen begrenzt vom
Pazifik, in die anderen Richtungen – Wohnsiedlungen und Hütten auf
Wüstenboden soweit bis der Dunst die Sicht nimmt. Einige kahle Berge
ragen wie Inseln aus dem Häusermeer. So eindrücklich wurde mir die
Größe einer Stadt noch nie vor Augen geführt.
Lima ist - angeblich – die fünftgrößte Stadt bzw. Metropolregion
Amerikas (Mexico City, Sao Paulo, New York City, Los Angeles, Gran
Buenos Aires und Rio de Janeiro würden mir aber allesamt als
Kandidaten für eine „bessere“ Platzierung einfallen... genau
weiß das aber wohl niemand.)
Nächste „Überraschung“ – oder Dummheit unsererseits: wer in
der Rush hour um 19 Uhr mit dem Bus heim fährt, braucht dreimal so
lange wie bei der Hinfahrt vormittags... Dafür hat Gaby ein
„Erfolgserlebnis“: zunächst bietet ihr ein Caballero den
Sitzplatz an – wenig später ist sie ihn schon wieder los: „I am
of higher age than you!“, so der unmissverständliche Hinweis der
gutgekleideten Grauhaarigen (der Twen am Nebensitz hatte offenbar den
Hörapparat vergessen).
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